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Großer Bahnhof für den Bundespräsidenten in Düren

1. April 1976 - Großer Bahnhof für den Bundespräsidenten in Düren

Bundespräsident Walter Scheel besucht die Rheinische Landesschule für Blinde

Es würde nicht verwundern, wenn die Verantwortlichen angesichts des Datums vermutet hätten, es könnte sich um einen Scherz handeln. Dennoch erschien Bundespräsident Walter Scheel mit Gattin und einem ganzen Tross wie geplant um 10 Uhr vor der Rheinischen Landesschule für Blinde in Düren, um dort den Tag mit den Schülerinnen und Schülern zu verbringen.


Die umfangreichen Planungen für diesen hohen Besuch begannen bereits über ein halbes Jahr vor dem Termin. Die im Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (ALVR) verwahrten Unterlagen erlauben einen detaillierten Einblick in die aufwändigen Vorbereitungen für ein Ereignis, das für die allermeisten Beteiligten sicherlich nicht alltäglich war. Insgesamt waren mehrere, teils ranghohe Vertreter des Landschaftsverbandes Rheinland, der Stadt und des Kreises Düren, des Grünen Kreuzes, der Blindenschule, des Blindenfürsorgevereins 1886 Düren und nicht zuletzt des Bundespräsidialamts beteiligt.

Anlass des Besuchs war der Weltgesundheitstag, der seit 1954 jährlich am 1. April begangen wird und an die Gründung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erinnern soll. 1976 stand der Tag unter dem Motto "Besser sehen - mehr vom Leben" ("Foresight prevents blindness"). Bundespräsident Scheel fungierte auf Initiative des Deutschen Grünen Kreuzes als Schirmherr. Vor diesem Hintergrund und angesichts des Mottos beabsichtigte Bundespräsident Scheel, eine Blindenschule zu besuchen. Als ihm verschiedene Alternativen vorgeschlagen wurden, traf er persönlich die Entscheidung zugunsten vonDüren.[1]

Die Rheinische Landesschule für Blinde in Düren war zum damaligen Zeitpunkt die einzige ihrer Art im Rheinland. 1976 wurden rund 170 Schülerinnen und Schüler von 34 Lehrern unterrichtet. Zusätzlich beschäftigte die Schule 24 Erzieher, drei Werkstattleiter und 19 sonstige Mitarbeiter. Es bestand die Möglichkeit, den Grund- und Hauptschulabschluss zu erwerben, sowie sich zum Stenotypisten und Telefonisten ausbilden zu lassen. Daneben unterhielt der LVR weitere Landesschulen für Sehbehinderte in Aachen, Düsseldorf, Duisburg, Essen und Köln.[2]

Die rheinische Herkunft des Bundespräsidenten dürfte zur Entscheidung für die Dürener Einrichtung beigetragen haben. Geboren in eher kleinbürgerlichen Verhältnissen in Solingen machte sich Walter Scheel nach Abitur, Banklehre und Kriegsdienst nach 1945 als Wirtschaftsberater selbstständig. In der Politik gelang ihm ein steiler Aufstieg: Bereits ab 1948 war er Mitglied im Solinger Stadtrat, ab 1950 Landtags- und ab 1953 Bundestagsabgeordneter. Von 1961 bis 1966 war er der erste Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ab 1969 übernahm er das Außenministerium und war Vizekanzler in der Regierung Brandt. Als er 1976 die Blindenschule Düren besuchte, war er bereits seit zwei Jahren Bundespräsident; ein Amt, das er bis 1979 innehatte. Er ist damit einer von vier Bundespräsidenten (außer Heinrich Lübke, Gustav Heinemann und Johannes Rau) aus Nordrhein-Westfalen und neben Johannes Rau der einzige aus dem Rheinland.[3]


Nach der Zusage des Präsidenten, den Termin wahrzunehmen, intensivierten sich die Kontakte ab Dezember 1975 mit dem Ziel, ein angemessenes Besuchsprogramm auszuarbeiten. Schließlich wurde minutengenau festgehalten, welche Stationen zu durchlaufen waren. Diese beinhalteten zunächst einen obligatorischen Empfang durch Spitzen der lokalen und regionalen Politik, unter anderem durch den Vorsitzenden der Landschaftsversammlung und Düsseldorfer Oberbürgermeister Josef Kürten, den Landesdirektor Helmut Czischke, der zugleich Vorsitzender des Blindenfürsorgevereins Düren war, und Prof. Dr. Merté als Vertreter des Deutschen Grünen Kreuzes. Darüber hinaus waren zahlreiche Repräsentanten des Kreises und der Stadt Düren, verschiedener Verbände wie des Deutschen Blindenverbands, des Blindenfürsorgevereins Düren und natürlich der Schule anwesend.


Im Anschluss startete ein Rundgang des Bundespräsidenten durch die Schule, da er im Vorfeld sein Interesse insbesondere für den Unterricht in Blindenschrift geäußert hatte. Neben den Programmpunkten im engeren Sinn hatten die Organisatoren zahlreiche mehr oder weniger wichtige Details zu beachten. Es musste zum Beispiel aus protokollarischen Gründen genau geklärt werden, welche Personen als Gastgeber, Ehrengäste oder "normale" Gäste zu betrachten waren. Da man darüber hinaus eine große Anzahl von Journalisten erwartete, mussten Absprachen getroffen werden, wie viele Personen in die jeweiligen Klassenräume eingelassen werden konnten. Aus diesem Grund wurde vereinbart, dass immer nur drei bis vier Pressevertreter den Tross begleiten durften.[4]


Aus den Archivalien geht hervor, dass Bundespräsident Scheel mehrmals eigene Vorstellungen in die Programmgestaltung einfließen ließ. So bestand er darauf, dass in der Abschlussveranstaltung, die in der Aula mit über 400 Personen stattfand, die ersten Reihen mit Schülerinnen und Schülern besetzt wurden. Ebenso wollte er das gemeinsame Mittagessen im Berufsförderungswerk nutzen, um mit Auszubildenden ins Gespräch zu kommen. Daher musste eine Sitzordnung für das ungefähr einstündige Mittagessen entworfen werden, die die Sitzplätze der prominenten Teilnehmer verzeichnet.[5]

Das Gruppenfoto, das im Verlauf des Besuchs entstand, ist leider nicht überliefert. Jedoch hat sich der Aufstellungsplan erhalten, der ebenfalls im Vorfeld präzise festgelegt wurde.


[1] Die Korrespondenz zwischen verschiedenen Dienststellen des LVR und dem Bundespräsidialamt ist erhalten in: Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (im Weiteren ALVR), Nr. 68447

[2] Eine konzentrierte Übersicht der Tätigkeiten in Form eines Rechenschaftsberichts liefert: Landschaftsverband Rheinland. Leistung in Zahlen, 1970 – 1980, herausgegebn vom Landschaftsverband Rheinland, Köln 1980, Seite 50ff.

[3] Ackermann, Josef: Art. Walter Scheel, in: Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949–2002, herausgegeben von Rudolf Vierhaus und Ludolf Herbst, München 2002, Band 2, Seite 731 f.

[4] Der Besuch fand entsprechenden Niederschlag in den regionalen Presseorganen, z.B. Simson, Klaus: "Ich habe meinen Augen nicht getraut", in: Kölnische Rundschau, 02.04.1976; Franke, Hans-Hubert: Ein Hauch von der "großen Politik" beim Besuch des Bundespräsidenten. Walter Scheel besucht die Landesschule für Blinde in Düren, in: Aachener Volkszeitung, 02 April 1976

[5] ALVR, Nr. 32506


Quellen und weiterführende Literatur

  • ALVR, Bestand Bild 13
  • ALVR, Bestand Rheinische Landesschule für Blinde Düren
  • ALVR, Bestand Dezernat 0, Fachbereich Repräsentanz
  • Ackermann, Josef: Art. Walter Scheel, in: Biographisches Handbuchder Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949–2002, herausgegeben von Rudolf Vierhaus und Ludolf Herbst. München 2002, Band 2, Seite 731 f.
  • "Man hat mir gesagt, meine Augen waren blau". 125 Jahre Rheinischer Blindenfürsorgeverein 1886 Düren, herausgegeben vom LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum, Düren 2013
  • Möller, Horst: Machtpolitik im Schafspelz. Walter Scheel (Jg. 1919) als Parteipolitiker und Staatsmann, in: Gesichter der Demokratie. Portraits zur deutschen Zeitgeschichte, herausgegeben von Bastian Hein, Manfred Kittel und Horst Möller, München 2012, Seite 269 - 290
  • Rensing, Matthias: Geschichte und Politik in den Reden der deutschen Bundespräsidenten 1949–1984 (Internationale Hochschulschriften 186), Münster, New York 1996

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