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7. Februar 1914: Das Rheinland plant eine Feier zur 100-jährigen Zugehörigkeit zu Preußen

Der Provinziallandtag beteiligt sich an der Nachbildung der Reichskleinodien für die geplante Hundertjahrfeier der preußischen Rheinprovinz

Es fing ganz bescheiden und gelehrsam mit einem Buchprojekt an, das die Zugehörigkeit des Rheinlands zu Preußen seit 1815 beleuchten sollte. Der Herausgeber, der Kölner Stadtarchivar Joseph Hansen, stellte im Juli 1911 dem Landeshauptmann der Rheinprovinz die geplanten Beiträge für ein „Jubiläumswerk zur Feier der hundertjährigen Vereinigung der Rheinprovinz mit dem preußischen Staat" vor.[1] Das zweibändige Werk sollte 1915 mit dem Titel "Die Rheinprovinz 1815 bis 1915. Hundert Jahre Preußischer Herrschaft am Rhein" erscheinen. Noch heute gehört es mit seinem umfassenden Überblick über die historischen Entwicklungen in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Religion zu einer Reihe lesenswerter Veröffentlichungen, die auf einer Welle politisch-historischer Rückbesinnung aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums im Rheinland entstanden.[2] Im nächsten Schritt ging es 1914 an die Planung der Feierlichkeiten für das Jahr 1915. Und nun befasste sich der Rheinische Provinziallandtag mit Ausstellungsplänen, die in der Nachbildung von Kaiserkrone, Reichsschwert, Reichsapfel und Zepter, alle „ganz in Gold mit echten Steinen und Perlen“, für über 153.000 Reichsmark gipfelten.[3]


Nachdem der Wiener Kongress 1814/15 das Rheinland dem Staat Preußen zugeschlagen hatte, fand 1815 in Aachen eine Huldigung statt, und auch das fünfzigjährige Jubiläum der preußischen Rheinlande wurde 1865 hier begangen. So waren Vertreter der Stadt Aachen am Berliner Hof seit 1910 eifrig damit beschäftigt, sich um einen neuerlichen Monarchenbesuch beim nächsten großen Jubiläum im Jahr 1915 zu bemühen.[4] Die Huldigung sollte nicht nur wiederholt, als Rahmenprogramm sollte zudem eine Ausstellung unter der Schirmherrschaft Kaiser Wilhelms II. geboten werden. Alle in der Stadt Aachen zwischen 813 und 1531 erfolgten Krönungen deutscher Könige sollten mit Porträts der Herrscher und Berichten der Krönungen in mittelalterlichen Handschriften sowie anhand von Urkunden, Siegeln und Münzen dokumentiert werden. Als Glanzstücke wollte man die „in der K. K. Hofburg in Wien aufbewahrten Kleinodien und Reliquien des ehemaligen heiligen (sic!) römischen Reiches Deutscher Nation“ erbitten.[5] Die Herrschaftszeichen der Könige und Kaiser samt Reliquien waren nach ihrer Verschleppung durch Napoleon in die Schatzkammer der Wiener Hofburg gelangt; die wichtigsten Stücke waren die Reichskrone, die Heilige Lanze und das Reichsschwert.[6]
Anfang 1912 kündigte die Stadt Aachen dem Landeshauptmann der Rheinprovinz an, also der Spitze der rheinischen Provinzialverwaltung, dass man den Provinzial-Ausschuss ersuchen werde, sich an den Kosten für die Ausstellung zu beteiligen, wenn die Provinzialverwaltung die Feierlichkeiten in Aachen mittragen wolle.[7] Zu dieser Zeit gingen die Ausstellungsmacher noch davon aus, dass die im Zentrum der Krönungsausstellung stehenden Reichsinsignien aus Wien ausgeliehen würden. Ein Jahr später stand fest, dass daran nicht zu denken war, wohl nicht nur aus konservatorischen, sondern auch aus außenpolitischen Gründen - schließlich war durch die „kleindeutsche“ Lösung 1871 Österreich aus dem Reichsverbund ausgeschlossen worden.[8] Der vom Ausstellungskonzept und von der symbolischen Verknüpfung seines Hauses Hohenzollern mit dem mittelalterlichen Reich begeisterte Kaiser Wilhelm II. warf jedoch seinen Einfluss in die Waagschale. So konnten in Wien wenigstens Repliken der Reichsinsignien hergestellt werden, um die gefährdete Aachener Ausstellung dennoch bestücken zu können.[9]


Im Januar 1914 konnte der Oberbürgermeister der Stadt Köln dem Landeshauptmann über Fortschritte bei der Ausstellungsplanung berichten und bat aufgrund der historischen Bedeutung der Feier um finanzielle Beiträge der Staatsregierung und der Provinzialverwaltung, letztere konkret um 50.000 Mark.[10] Der dem Schreiben beigelegte Haushaltsplan führte auf, dass die Nachbildung der Reichskleinodien 40.000 RM kosten würde; hinzu kämen Aufbauten, Gehälter, Reise- und Transportkosten, Versicherungssummen, Reklame, Kataloge usw. So belief sich die Schätzung der Gesamtkosten der Ausstellung auf 488.000 Mark, zum Schluss gar auf 633.000 Mark.[11]
Am 7. Februar lag der Kostenanschlag für die Nachbildung der Reichskleinodien durch den Hoflieferant für Juwelen, Gold- und Silberwaren, C. A. Beumers vor, der sich bereits auf 153.400 Mark belief.[12] Am nächsten Tag befürwortete der Provinzialausschuss dennoch ohne Zögern die Annahme des Aachener Antrags durch den Provinziallandtag, wonach der Stadt ein Zuschuss zu den Kosten der Nachbildung bewilligt werde. Es sei „nicht unbillig, daß die Provinz ihr [der Stadt] einen Teil der ihr erwachsenden erheblichen Kosten abnimmt…“, da es sich „bei der Veranstaltung der Stadt Aachen um einen Teil der Huldigungsveranstaltungen [handele], welche die Rheinprovinz im Jubeljahr 1915 ihrem Landesherrn bieten wird (…) Dabei scheint es richtig, daß die Beteiligung der Provinz sich auf die Kosten bezieht, welche durch die Nachbildung der Reichskleinodien entstehen. Denn hierdurch kommen die Rheinlande, wenn auch nur in der Form von Nachbildungen, wieder in den Besitz jener bedeutsamen Gegenstände, welche in großer und glanzvoller Zeit ihr Stolz waren. Die Nachbildungen sollen nämlich in Aachen ihre dauernde Heimat finden.“


Der Aachener Oberbürgermeister bedankte sich am 26. Februar für die Zuschussbewilligung und teilte mit, es sei vertraglich geregelt, dass der Hofjuwelier bis 1. Januar 1915 die Nachbildungen abliefere und ihm „der vereinbarte Preis von 80.000 M[ark] nach der Abnahme zu zahlen“ sei.[13] Das Ausstellungsprojekt wurde jedoch vom Beginn des Ersten Weltkriegs gestoppt. Stattdessen wurde nur eine bescheidene Huldigungsfeier veranstaltet.[14] Doch trotz Kostenexplosionen und Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung wurde weiter an den Repliken gearbeitet, und der Kaiser „geruhte“ sogar, die Honorarnachforderung des Goldschmiedes zu begleichen: Im Oktober 1915 lieferte Beumers seine letzten Stücke ab.[15] Wilhelm II., der sich im Glanze der Reichskrone hatte präsentieren wollen, lobte noch die künstlerische Ausführung bei einem Besuch in Aachen 1918, musste jedoch nach Kriegsende abdanken. Einen bleibenden Wert haben dagegen die Kunstwerke: 2014, genau hundert Jahre nach ihrer Herstellung, wurden die Repliken in der Aachener Ausstellung „Karl der Große“ gezeigt.[16] Die Originale, die man 1914/15 nicht hatte bekommen können, werden bis zum heutigen Tag in der Schatzkammer der Wiener Hofburg verwahrt und der Öffentlichkeit präsentiert.


[1] Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (im Folgenden: ALVR), Nr. 1569, fol. 1-4.
[2] Der Erste Weltkrieg verzögerte die Fertigstellung. Das Werk wurde erst 1917 herausgegeben: Joseph Hansen: Preußen und Rheinland von 1815 bis 1915. Hundert Jahre politischen Lebens am Rhein, Nachdr. der Ausgabe Bonn 1918 (Rheinprovinz 4), Köln 1990. Vgl. Klaus Pabst, Die „Historikerschlacht“ um den Rhein, in: Historische Debatten und Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert. Jubiläumstagung der Ranke-Gesellschaft in Essen 2001, hg. v. Jürgen Elvert, Susanne Krauß, Stuttgart 2003, S. 70-81, hier S. 74.
[3] ALVR, Nr. 1569, fol. 121f.
[4] Rüdiger Haude, „Kaiseridee“ oder „Schicksalsgemeinschaft“. Geschichtspolitik beim Projekt „Aachener Krönungsausstellung 1915“ und bei der „Jahrtausendausstellung 1925“ (Beihefte der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 6), Aachen 2006, S. 33-37 (im Folgenden: Haude, Kaiseridee).
[5] ALVR, Nr. 1569, fol. 12f.
[6] Link zur Kaiserlichen Schatzkammer der Wiener Hofburg (Abruf am 29.1.2016).
[7] ALVR, Nr. 1569, fol. 9.
[8] Haude, Kaiseridee, S. 40ff., vgl. Link zum Portal Rheinische Geschichte (Abruf am 29.1.2016).
[9] Haude, Kaiseridee, S. 38f.
[10] ALVR, Nr. 1569, fol. 108f.
[11] ALVR, Nr. 1569, fol. 111. Haude, Kaiseridee, S. 51f.
[12] ALVR, Nr. 1569, fol. 122.
[13] ALVR, Nr. 1569, fol. 132.
[14] ALVR, Nr. 1569, fol. 190. Vgl. Link zum Dokument des Monats Mai 2015 (Abruf am 29.1.2016).
[15] Haude, Kaiseridee, S. 53, 77f.
[16] http://www.karldergrosse2014.de/ausstellungen/ (Abruf am 29.1.2016).

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Quellen und weiterführende Literatur

  • Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (ALVR), Bestand Archiv der Provinziallandtage, Nr. 1569.
  • Joseph Hansen, Preußen und Rheinland von 1815 bis 1915. Hundert Jahre politischen Lebens am Rhein, Nachdr. der Ausgabe Bonn 1918 (Rheinprovinz 4), Köln 1990.
  • Rüdiger Haude, „Kaiseridee“ oder „Schicksalsgemeinschaft“. Geschichtspolitik beim Projekt „Aachener Krönungsausstellung 1915“ und bei der „Jahrtausendausstellung 1925“ (Beihefte der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 6), Aachen 2006.
  • Georg Mölich, Als das Rheinland preußisch wurde… Aspekte einer Beziehungsgeschichte seit 1815, in: Rheinische Heimatpflege, 52. Jahrgang, Heft 1, 2015, S. 27-44.
  • Klaus Pabst, Die „Historikerschlacht“ um den Rhein, in: Historische Debatten und Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert. Jubiläumstagung der Ranke-Gesellschaft in Essen 2001, hg. v. Jürgen Elvert, Susanne Krauß, Stuttgart 2003, S. 70-81.

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